Kapitel 2

Feder
Warme Sonnenstrahlen zwängten sich vereinzelt durch das dichte Blattwerk. Unter dem schützenden Grün wurden viele kleine Häuser errichtet, die sich hier zu einem Dorf zusammenfanden. Manche davon saßen zu Fuß der gewaltigen Bäume. Andere nutzten die Nähe der einzelnen Stämme für eine stabile Stütze aus Holz. Während ein Teil in den Kronen ihr Heim fanden.
Zu den einzelnen Ebenen und Häusern führte ein Labyrinth aus Treppen, Brücken und Podesten.
Nur die Bewohner dieser Siedlung fanden sich hier zurecht, während jeder Neuankömmling hoffnungslos verloren ging.
Es war ein gemütliches Heim geworden, das ihnen durch natürliche Walle schon so viele Jahrhunderte Schutz bot. Sogar den Spähern der König gelang es nicht, unbemerkt in dieses Waldstück vorzudringen.
Dabei brauchten sie sich nicht alleine auf ihre Wachen zu verlassen. Denn der Wald war zu ihrem stärksten Verbündeten geworden.
Die scheuen Tiere mit ihren ausgeprägten Sinnen erkannten jeden Feind viel eher, als es ihnen möglich war. Sie brauchten nur die Ruhe um sich herum beobachten.
In ihrem Zoll nahmen sie von dem, was der Wald ihnen anbot und nie mehr. Sie jagten nur Tiere, die vom Alter gezeichnet waren, zu verletzt, um sich zu erholen, oder von einer Krankheit befallen. Sammelten Pilze und was sie noch fanden.
Darüber hinaus züchteten sie Tiere. Pferde, Schweine und Hühner, deren Ställe sich auf dem Boden befanden. Eine der Frauen hatte sogar einen Garten angelegt.
Doch zu ihrer Hauptversorgung dienten vorwiegend Quellen von außerhalb. Bauernhöfe, die sich im Geheimen zu ihnen bekannten. Daher unterschlugen sie bei jeder Abgabeforderung der Könige einen Teil ihrer Ente, um den Widerstand zu versorgen.
Nicht nur hier fanden die Amazonen ihre Verbündeten.
Auch weit außerhalb der Reiche und dem unbarmherzigen Krieg. Ganze Lager, Gemeinden, sogar Städte boten ihren Kriegern Schutz und Nahrung.
All dies, der Krieg und die Sorgen, schienen hinter einer Mauer verdrängt worden zu sein, errichtet von diesem schönen Tag.
Die warmen Strahlen dieses wundervollen Morgens lockten Vögel heraus, deren friedlicher Gesang einen Chor anstimmte. Und sogar eine Natter hatte sich in der Nähe des Dorfes einen Flecken für ihr Sonnenbad gesucht. Die Dorfbewohner machten einen großen Bogen um das schlafende Tier, um es nicht zu reizen.
Marli lehnte sich zurück.
Sie stand auf einem der Beobachtungspodeste, von dem aus sie viel der Lichtung erkennen konnte und zwischen die Bäume hindurch spähte, lauernd auf jedes verräterische Zeichen.
Die noch recht junge Frau war eine Kriegerin.
Sie wäre gerne mit ihren Schwestern in den Kampf gezogen, statt hier zu bleiben. Seite an Seite, auf dem Schlachtfeld, um den Königen zu zeigen, dass sie immer noch tapfer ihre Freiheit verteidigten.
Jemand musste zurückbleiben. Ein Schutz für das Dorf. Genauso wichtig wie der Kampf an ihrer Grenze.
Immerhin verteidigte sie die Schwachen in ihrer Obhut. Darunter viele Kranke und Alte. Dann zwei Kinder, die unbeschwert im Dorf herumtollten, als sei wirklich alles Grauen hinter den Mauern vertrieben worden.
Gerade lauschten sie einer der Alten, während diese ihnen die Natter zeigte.
Bald war das Interesse der beiden Mädchen auf ein anderes Tier geglitten. Ein Eichhörnchen, das seinen Vorrat für den nächsten Winter zusammentrug. Dabei zuckte der wuschelige Schwanz öfters und führt bei den Kindern zu vergnügtem Lachen.
Dieser kurze Laut mochte leise sein, das Eichhörnchen jedoch schreckte sofort hoch.
Die Nase in den Wind gereckt, zuckten seine Barthaare beim Prüfen der Luft auf feindliche Gerüche. Dann erkannte es seine interessierten Beobachter, und noch ehe eine von ihnen näher kommen konnte, war das flinke Tier schon auf einen nahen Baum gesprungen. Jetzt klammerte es sich unten am Stamm fest, von wo aus es sich seine Beobachter betrachtete.
Die Ältere von beiden folgte sofort, während die Jüngere mit Verzögerung zum Baum gelangte. Die Krallen des kleinen Tieres vergruben sich bei jedem seiner Schritte erneut in die weiche Rinde des Baumes. Von oben herab beobachtete es seine Verfolger, für die der Baum ein großes Hindernis bei ihrer Verfolgung darstellte.
Marli konnte nicht verhindern, dass ein Lachen aus ihrer Kehle hervorstieß.
Die ältere von beiden Mädchen hatte die jüngere auf ihre Schultern genommen. So standen die Kinder da, in der Hoffnung das scheue Eichhörnchen doch noch zu erreichen.
Die Barthaare des kleinen Tieres zuckten erneut bei den Kletterversuchen des Mädchens. Nach einem kurzen Augenblick wandte es sich von ihnen ab, verschwand hinauf und sprang auf eines der Geländer. Leichtfüßig tapste es darauf bis zu einer Brücke und tauchte dann in die Kronen eines der Bäume, außerhalb menschlicher Sicht.
In einer solchen Zeit voller Krieg war das Dorf der Amazonen, wie es das Volk ehrfürchtig nannte, eine Zuflucht für ausgestoßene, heimatlose und zu Unrecht verfolgte. Sie fanden hier Zugehörigkeit und Schutz.
Die meisten der Bewohner waren Frauen.
Ihre Männer und Kinder gingen im Krieg verloren und alleine hätten sie ihr Leben voller Arbeit nur für den König nicht weiterführen können. Oder man hatte ihnen alles genommen, um die hohen Steuern zu begleichen. Irgendeinen Grund fand sich, hier um Zuflucht zu bitten.
Viele fanden Trost, bis sie bereit waren, ein neues Heim aufzubauen, oder suchten nach einer neuen Bestimmung. Einzig ihre Krieger durften hier lange verweilen.
Aus diesem Grund strotzte ihre Armee nicht von ausgebildeten Kriegern. Nur wenigen war es vergönnt, schon vor Eintritt in ihre Armee, an den Waffen ausgebildet zu sein.
Ganz selten schlug sich ein Mitglied des königlichen Heeres auf ihre Seite. Meist mit der Bitte begleitet, sie sollen deren Familie ein sicheres Heim bieten, oder inhaftierte Verwandte befreien.
Dank der Hilfe solcher Leute gelang es ihnen, eine stattliche Armee aufzubauen. Darunter viele Bäuerinnen, die sich im Kampf ausbilden ließen, um das Leben ihrer eigenen Familie zu schützen.
Nicht nur sie, auch ihre Familien wurden in den Lagern der Amazonen versorgt.
Hier im Herzen des Widerstandes befanden sich nur Erwachsene. Die Kinder brachte man in den Lagern außerhalb unter. In friedlichen Gebieten, weit ab von Krieg und der Reichweite von Söldnern, Dieben oder Kopfgeldjägern.
Oder die Kinder wurden von einer Familie dem Widerstand treuen Bauern aufgenommen.
Dies war eines der Gesetze ihres Lebens.
Kein Kind durfte innerhalb des Dorfes großgezogen werden.
Dabei entriss man ihnen die Kinder nicht einfach, wie es die Könige taten. Ihnen wurde freigestellt mit den Kindern zu gehen, oder im Dorf zu verbleiben. Trotz des Schmerzes einer Trennung blieben viele von ihnen hier, wohl wissend, dass es ihren Kindern gut ging.
Es gab sogar eine Kirche, die den Kindern der Amazonen Unterricht und ein Heim bot, in der Hoffnung, sie mögen dem Land irgendwann eine Zukunft bieten.
Bei diesen beiden Mädchen, die sich jetzt unter ihrem Podest eine neue Aufgabe suchten, sah es ganz anders aus.
Eine der Mütter musste einer alten Tradition folgen, die verbot, dass dieses Kind von anderen aufgezogen wurde, als den Amazonen. Sie war ihr Schatz und die Zukunft des Dorfes. Ein kleines Mädchen, das zur großen Kriegerin erzogen werden würde und die Amazonen irgendwann anführen sollte.
Auch wenn man heute kaum etwas von der späteren Anführerin wahrnahm. Vielleicht vereinten sich in ihr irgendwann einmal der Mut des Vaters und die Klugheit ihrer bezaubernden Mutter.
Die zweite der Frauen konnte sich nicht von ihrer Tochter trennen. Da sie selbst im Amazonendorf groß geworden war, stellte sich niemand gegen ihre Bitte.
Diese Frau war Melasa. Die Tochter der einstigen Anführerin Alesa.
Lange vor dieser Zeit, wurde das Recht des Anführers nur den Kindern vererbt. Diese Außenstehende hatte mit ihrer Klugheit schon oft genug dem Dorf geholfen. Sie besaß alles, was sie sich von einer Anführerin erhofften, so trat Melasa ihr Erbe an Nette ab.
Seitdem wurde die junge Frau mit Recht als Königin der Amazonen betitelt.
Ihre Tochter war die 4-jährige Nala. Ihre kleine Prinzessin mit eben solchem honigfarbenen Haar, das in der Sonne golden glänzte. Und zwei Augen so funkelnd Blau wie Juwelen.
Melasa hatte eine Tochter von 6 Jahren. Das rote Haar ihrer Mutter war dunkel und seidig, während das ihrer Tochter mehr ins Blond ging und oft wirr wirkte. Auch der Charakter beider unterschied sich wie Tag und Nacht.
Die Mutter behielt in vielen Situationen ihre Ruhe, während ihre Tochter ein rechter Wildfang sein konnte, den es nur schwer gelang zu bändigen.
Melasa war es, die sich in den letzten Jahren verändert hatte. Die große Kriegerin wurde nach der Geburt ihres Kindes ganz Mutter. Nur selten griff sie zu ihrer Waffe.
Diese beiden Kinder, die das Dorf selbst bei Regen mit Freude erfüllen konnten, zeigten ihnen, worum sie kämpften.
Damit jedes Dorf und jede Stadt von solchem Kinderlachen erfüllt wurde. Frei und ohne Angst. Es war falsch, dass die Last der Eltern, von so kraftlosen Schultern getragen wurde.
Von früher Kindheit an mussten bei der harten Arbeit geholfen werden, damit die Forderung ihres Königs erfüllt wurde. Kein Spiel, keine frohen Stunden, nur Arbeit.
Die Schreie des Volkes wurden von den Adeligen und Königen überhört. Sie interessierte nur das eigene Wohlergehen. Reichtum, ein gefüllter Bauch und berauschende Feste.
Nette offenbarte ihnen diese Einstellung mit ihrer Flucht ins Dorf.
Blind und taub für alles außerhalb ihrer Marmorwände, stolperte sie hier ungeschickt zwischen den einfachen Leuten umher. Seit ihrer Kindheit wurde sie von jeglichem Übel abgeschottet, sodass sie erst hier die Ängste der einfachen Bevölkerung kennenlernte.
Wie sie bei jedem Unwetter oder Dürre um die nächste Ernte und ihr Überleben bangten. Bei Krankheiten wurden ihr die beste Behandlung und die Sorge der Familie zuteil. Viele Bauern standen selbst mit Fieber noch auf dem Feld oder gingen zur Jagd.
Den möglichen Zusammenbruch machte es umso schlimmer.
Im Bett liegen, unfähig sich um Vieh und Hof zu kümmern, immer die Angst im Nacken, den Forderungen des Königs nicht nachkommen zu können. Oder Schlimmeres.
Genauso, wie ihr nicht bewusst war, dass jeder Soldat, der auf dem Schlachtfeld fiel, eine trauernde Familie besaß.
Und genau dieses vom Luxus ihres adeligen Leben verwöhnte Mädchen, musste in die Hände der Amazonen geraten.
Weder heute noch früher waren sie das Monster, von dem das Mädchen gehört hatte. Obwohl es manchen heimlich durch den Kopf ging, wollten sie Nette nie zwingen, zurück an den Altar zu treten. In Schloss und Bett eines Tyrannen. Und obwohl diese andere Lösung ihnen vielleicht zugutegekommen wäre, nahmen sie das Mädchen bei sich auf.
Die Amazonen gaben ihr ein Heim und neue Aufgaben, in die Nette sich schwer gewöhnte. Ihr Hände waren nun nicht mehr gepflegt wie früher, sondern rau und voller Schwielen von der Arbeit. Ihre vornehmen Kleider musste sie gegen die einer Bäuerin tauschen. Und trotz ihrer Mühe blieb sie für alle anderen bloß die Adelige.
Jahre zogen dahin aber nichts konnte ihr den Stolz und ihre grazile Art nehmen.
Während sie hier immer noch eher geduldet als erwünscht war, wuchs das Interesse eines fremden Kämpfers umso mehr an. Mit seinen Kameraden kam er damals zu ihnen, um an ihrer Seite zu kämpfen.
Er war außerdem der Erste, der in ihr mehr erkannte, wie es andere ihr zutrauten.
An seiner Seite errang sie zuerst das Schlachtfeld, später die Herzen der Dorfbewohner.
Sie schaffte, an was nie zuvor jemand dachte. Wie der Vertrag mit den Königen, der gebot, dass keine Armee sie kurz auf eine Schlacht angreifen durfte. Widerwillig unterschrieben sie und ebenso gehorsam hielten sie sich an die Abmachung.
Schon vor ihrer eigentlichen Ernennung wurde das Mädchen Amazonenkönigin genant.
Ihr Gefährte, dem sie so viel verdankte, war weder bei ihrer Ernennung dabei, noch konnte er sein Kind in Armen halten.
Seit seinem Tod waren fast fünf Jahre vergangen. Und auch wenn sie nie darüber sprach, war ihr Herz noch immer von Trauer über den Verlust erfüllt. Alles verdrängte sie in ihrer Pflicht dem Dorf und ihrer Tochter gegenüber.
Die kleine Nala würde erst in den kommenden Jahren richtig verstehen, welch große Rolle ihr das Schicksal zukommen ließ.
„Marli“, rief eine für ihre Größe ziemlich laute, kleine Dame. Das Mädchen zog die Vokale ihres Namens unendlich in die Länge. Dabei zupfte sie am Rock der Kriegerin, bis diese ihr sämtlich Aufmerksamkeit schenkte.
Gedana war zu ihr auf das Podest geklettert. Jetzt sah sie zu der großen Frau auf und zog eine Schnute. Sofort hockte sich die Amazone hinunter, um mit dem Kind auf Augenhöhe zu sein.
„Was ist denn“, erkundige sie sich bei dem Mädchen.
Nala stand unterhalb des Podestes und wartete stumm auf beide. Man konnte in dem Kind wirklich noch nicht erkennen, welchen Posten sie irgendwann bekleiden sollte. Noch wollte keiner von ihnen, dass sie an ihre Aufgabe erinnert wurde.
„Du wolltest mit uns zum See!“, beschwerte sich das rothaarige Mädchen. Ein Lichtschein von oben beleuchtete ihre vielen Sommersprossen auf Wangen und Nase. „Du hast es uns versprochen!“
Marli erhob sich. Sie tauschte mit den anderen Wächtern einen beratenden Blick, erst dann konnte sie ihren Posten wirklich verlassen.
„Weißt du, dass du recht hast?“ Sie drückte das Mädchen fest in ihre Arme. „Ich könnte ein Bad gebrauchen.“
Nala hatte das gleiche Alter wie ihre eigene Tochter. Marli gab sie zu ihren Eltern. Wann immer sie das Kind erblickte, brannte Sehnsucht in ihrem Herz als Mutter.
Krieg und Kampf waren eine Sache, die Familie eine andere.
Genau, wie es auch das Kind sah, dessen bekümmertes Gesicht sie unten erwartet.
„Was ist denn los?“, erkundigte sie sich bei ihrer kleinen Prinzessin. So wurde das Kind spaßhaft von allen genannt und vielleicht sogar ein wenig verwöhnt.
„Wann kommt meine Mami wieder zurück?“, wollte das Mädchen wissen. Sie sah mit ihren hübschen himmelblauen Augen zu der großen Beschützerin auf.
Diese Frage war interessant. Unschlüssig darauf zu antworten, leitete sie diese stumm an ihre Kameraden weiter, von denen jeder mit den Schultern zuckte.
Nettes Heer war vor Wochen ausgezogen. Selbst wenn sie eine Niederlage einstecken mussten, hätten sie Nachricht bekommen, die Kinder aus dem Dorf zu schaffen.
Jetzt konnten sie nichts anderes tun als warten. Warten auf Nachricht vom Schlachtfeld und Hoffen um einen Sieg. Die Sorge verklang nicht bei der überfälligen Botschaft.
Deswegen verdrängte sie die eigene Angst und schenkte ihrer kleinen Prinzessin ein Lächeln.
„Deine Mutter wird sicher bald wieder bei dir sein.“
Nichts davon erreichte ihr Ziel. Die Besorgnis wollte nicht von dem Kind weichen, das sich nur mit Mühe dazu überreden ließ, beide zum See zu begleiten.
Letztendlich war es Gedana, die ihren Willen bekam.
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Die Bewohner des Dorfes hatten sich ein Leben zur Grenze aller drei Länder aufgebaut. Es mochte hart sein, dafür konnten sie sich als frei bezeichnen.
Niemand nahm ihnen etwas weg. Kein Räuber. Keine Könige. Sie bestimmten selbst in ihrer Gemeinschaft.
Der See, zu dem Marli mit den Kindern wollte, schmiegte sich im Westen weitläufig an den Wald. Dort begann die Landesgrenze zu Miro.
Ein gefährliches Gebiet und Marli wusste, dass sie unvorsichtig war. Sie konnten auf ihrem Weg einer Grenzpatrouille begegnen. Dennoch gingen viele das Risiko ein, da der See wunderschön war. Heute kam hinzu, dass ihre Aufmerksamkeit nur der kleinen Prinzessin galt.
Das Mädchen wirkte in allem was sie tat bekümmert. Am liebsten hätte Marli sie gepackt und ihr allen Kummer entrissen.
Nala blieb ein paar Schritte hinter ihnen. Manchmal zupfte sie eine Blume vom Boden. Der Strauß in ihren Händen war schon richtig gewachsen.
Gedana dagegen hüpfte um beide herum oder lief ein paar Schritte voran. Sie wollte damit entweder Marlis Aufmerksamkeit bekommen, oder die ihrer jüngeren Freundin. Beides wollte ihr nicht gelingen.
Eine Szene, die sich am See wiederholte.
Nala saß am Ufer. Dort wo es steil herabfiel und sie ihre Füße im kühlen Nass baumeln ließ. In ihrem Schoß die Blumen. Ihre kleinen Finger verbanden sie zu einer hübschen Krone, wie es ihr eine der Frauen gezeigt hatte.
Nicht ganz so geschickt. Aber es konnte ein hübsches Geschenk werden.
Gedana stand abseits und sprach auf die Freundin ein, deren Gedanken sich nur bei ihrer Mutter befanden. Nichts half. Das Mädchen würde wohl erst wieder aus diesem Zustand gerissen werden, wenn Nette zurückkam.
Die Ältere gab auf und machte sich daran den Fischen hinterherzujagen.
Ihr Erfolg war sogar ungewöhnlich groß. Es gelang ihr, zwei Fische ans Land zu bringen. Später würde Gedana einmal eine gute Jägerin und Kämpferin werden. Wie ihre Mutter, deren Geschick im Bogen lag.
Marli wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Nala zu, die ihre Krone fast beendet hatte.
Das Mädchen erinnerte sie so sehr an die eigene Tochter, dass es die Amazone in ihrem Inneren schmerzte.
Wie gerne würde sie nach Ylora gehen, um ihr kleines Mädchen in die Arme zu schließen. Ihre kleine Arela, die sie seit einem Jahr nicht gesehen hatte und nach der es Marli verzehrte.
Wenn schon Nala sich so nach der Mutter sehnte, wie musste es dann erst Arela gehen?
Während sie so da saß, in Gedanken über ihre kleine Prinzessin und tief versunken im eigenen Schmerz, überhörte sie die Hufschritte, gedämpft vom weichen Gras.
An dem Fell, nass vom Schweiß, klebten Schmutz und Erde von der langen Reise. Grobe Narben auf dem kurzen Fell zeugten vom Einsatz als Schlachtross. Dazwischen glänzte frisches Blut von Insektenbissen. Einige Wunden, auch dort wo einst das linke Auge des Tieres saß, waren frisch und mit Blut verkrustet.
Seine Reiterin trug die gleiche Rüstung wie Marli, wirkte darin, trotz des großen Hengstes eher klein und zerbrechlich. Unter ihrem Helm fielen blonde Locken hervor, die Augen waren strahlend blau, genau wie die ihrer Tochter.
Das Pferd wollte seinen Kopf nach links neigen, um wenigstens zu sehen, wo die Stimmen herkamen. Sofort unterband die Reiterin dies. Selbst blind musste es auf seine Reiterin hören. Sich auf sie verlassen, genau wie die Amazone immer ihrem Pferd vertrauen musste.
Ein Schnauben stieß aus den Nüstern.
Erst jetzt wandte Marli sich erschrocken der Reiterin zu.
„Wenn ich gewusst hätte, wie leicht man sich an dich anschleichen kann, dann hätte ich dir meine Tochter nicht anvertraut“, kam es streng von der Kriegerin.
Marli kannte sie sehr gut. Sie wusste, dass es nicht die echte Strenge ihrer Königin war. Es war eher eine spielerische Rüge, die sofort von einem Lachen weg gerissen wurde.
Nala erkannte ihre Mutter beim ersten Wort.
Die Krone in ihren zitternden Händen haltend, trat sie vor den großen Hengst. In ihren klaren Augen glitzerten Tränen, beim Glück die Mutter endlich wieder zu sehen.
Noch ehe Nette von ihrem Pferd stieg, um ihr Kind zu begrüßen, schenkte sie der Freundin ein paar tröstende Worte.
„Arela geht es gut.“
Sie schwang sich vom Rücken des Pferdes hinab, wo ihre Tochter schon auf sie wartete. Bis sich die Mutter zu ihr hinunter beugte, um das Mädchen in ihre Arme zu schließen.
„Ich weiß doch, dass du sie vermisst. Wir kommen deswegen so spät. Mein Gesicht ist bekannt. So gerne ich selbst einen Vertrauten aus vergangenen Tagen besuchen würde, habe ich ein paar unserer Leute in die Stadt geschickt. Sie sollten nach deiner Tochter sehen.“
Ein überaus riskantes Vorgehen, wo jeder eine hohe Belohnung bekam, wann immer er eine Amazone tötete. So hofften die Könige, das Volk möge sich gegen seine eigene Hoffnung stellen.
Die Worte, die als nächstes von Nette kamen, ließen die große Amazone ins Wanken geraten.
„Sie vermisst ihre Mutter sehr, hat aber stolz gemeint, sie will ganz schnell lernen, um uns eine gute Kämpferin zu sein.“
Das reichte, um Marli einen festen Stoß zu versetzen. Tränen benässten ihre Wangen, so groß war die Sehnsucht nach ihrer eigenen Tochter.
„Geh zu ihr!“, befahl Nette. In ihrer Stimme herrschte die Autorität der Anführerin, ohne den weichen Klang einer Freundin zu verdrängen. „Geh sie wenigstens besuchen. Du hast sie so lange nicht gesehen. Ich möchte nicht der Grund sein, dass deine Tochter ihre Mutter nie kennenlernt.“
Nette ließ Nala los, um ihren Hengst an einem Baum anzubinden. Erst danach entledigte sie sich der schweren Rüstung.
Zuerst der Helm, unter dem ihr Haar schmutzig aber dennoch golden aufleuchtete. Als nächstes der Schutz um Beine und Arme. Zuletzt der lederne Brustpanzer.
Sie tat ihn gerade vorsichtig ab, da legte das Mädchen ihrer Mutter die Krone auf den Kopf.
Obwohl ihr eine richtige aus Gold mit Juwelen besetzt zustand, war es dieses einfache, kleine Geschenk, was sie wirklich tragen wollte. Nicht die Königin von Saron, sondern frei mit ihren Schwestern und dem Kind ihres verstorbenen Liebsten.
Dies war ihr Leben, für das sie und alle anderen Bewohner des Amazonendorfes auf ewig kämpfen würden.
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„Ich würde meine Tochter gerne wiedersehen. Aber ist dass denn möglich? So früh nach dem Kampf wird sich unser Heer ausruhen müssen. Da brauen wir jeden der kämpfen kann.“
Marli ließ sich an demselben Platz nieder, wo sie zuvor saß.
Es mochte sein, dass die Könige sie nicht angreifen durften. Dafür aber jeder andere, den man für Geld kaufen konnte. Söldner, Diebe.
Nette hatte sich in den Jahren ihre Schönheit behalten. Nur ein paar Wunden verunstalteten die wundervoll gebräunte Haut der Anführerin. Anders als so manche ihrer Schwestern wusste sie es, sich zu schützen, ohne den Kampf verlassen zu müssen.
„Keine Sorge“, rief die Anführerin. Sie setzte sich zu der Freundin. „Geh zu deiner Tochter. Ob sich ein Krieger mehr im Lager aufhält, ist unwichtig, solange du gesund wiederkommst.“
Das hieß, Marli sollte ihren hohen Kopf einziehen und sich nicht als Amazone zu erkennen geben. Sonst landete sie womöglich auf des Richters Henkerblock. Und in Ylora war es der Richter, von dem die Gefangenen auf die letzte Reise geschickt wurden.
„Danke“, sagte Marli lächelnd. Bevor ihre Anführerin sie schon jetzt losschickte, hatte sie vorher noch etwas einzuwenden. „Aber ich gehe frühestens morgen.“
Das ganze Dorf plante eine Feier zu Ehren ihrer Krieger. Ob alt, ob jung; jeder würde seinen Beitrag leisten. Sogar Nala wollte für ihre Mama einen Kuchen backen, bei dem ihr Alesa helfen würde.
Die Jäger waren schon auf der Jagd, um ein paar der Tiere zu fangen. Außerdem hatten ihnen Bauern zwei Schweine und eine Kuh geschenkt. Dazu kamen drei ihrer Hühner, die von der alten Alesa auf ihre eigene Art zubereitet werden sollten. Genau so, wie es Nette bevorzugte.
Nette blickte auf die beiden Mädchen. Den wilden Rotschopf Gedana, die schon im tieferen Wasser herumtollte, immer im Auge der beiden Frauen. Und die kleine Nala, die im flachen Wasser planschte und ein paar der Fische beobachtete, die an ihr vorbeischwammen.
„Eine Abkühlung könnte uns auch nicht schaden“, meinte die Anführerin der Amazonen und stieß die Freundin in einer spielerischen Aufforderung in die Seite.
Schnell war ihre Kleidung abgelegt. Mit einem weiten Sprung hechtete sie ins tiefere Wasser.
Neid kroch in Marli hoch, wenn sie diese wunderhübsche Frau betrachtete. Ihre seidige Haut, das goldene Haar und ein wohlgeformter Körper.
Sie mochte eine volle Amazone geworden sein, doch von ihrer Schönheit oder Anmut als Adelige hatte sie nichts verloren. Kein Wunder, dass ein Mann ihr sogar sein ganzes Königreich zu Füßen legen wollte und selbst jetzt noch Jagd auf sie machte.
Dieses unbesiegbare Wesen, dem viele die Zukunft des Landes in den Händen bescheinigten.
Die Kriegerin brauchte nur wenige Minuten, um ihrer Anführerin in den See zu folgen.
An diesem sonnigen Tag war das kühle Wasser einfach eine Erlösung. Besonders für Nette nach dem Kampf und der beschwerlichen Reise.
Sie konnte hier ihren Körper von Schweiß und Schmutz reinigen, die daran klebten.
Gedana näherte sich ihnen so weit, bis das Wasser ihr zur Brust stand. Sofort nahm Nette ihre Hände voll Wasser und bespritzte damit das Kind. Eine Aufforderung zum Spielen, die beide Kinder mit Begeisterung aufnahmen. Und selbst Marli ließ sich gerne dazu verleiten.
Keine der Kriegerinnen ahnte, dass ihre Wasserspiele mit den beiden Mädchen auch andere Aufmerksamkeit auf sich zog.
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Den ganzen Tag über durchstreifte die Soldatin den Wald und das umliegende Gebiet des Amazonendorfes. Hinein traute sie sich nicht, solange jeden Tag das zurückkommende Heer erwartet wurde. Ihre Tarnung war dann in Gefahr.
Was sollte sie tun, wenn die Amazonenkönigin sie erkannte? Wie würde sie reagieren, ihrer Schwester in deren Reich gegenüberzustehen? Ohne die schützenden Männer an ihrer eigenen Seite.
Nein, das durfte nicht passieren! Es mochte unvermeidlich sein, ihr wieder gegenüberzustehen. Dieses Schicksal schien den Schwestern vorbestimmt.
Dann sah sie die große Amazonenkönigin.
Wie lange war es her, dass die Schwester ihr begegnete? War es nicht vor deren Flucht damals im Schloss von König Teron?
Nerre legte sich in den Schatten eines großen Baumes. Dort wo das Gras hoch genug war, um ihr Deckung zu bieten.
Früher stand Nette alles offen. Sie sollte Königin werden und viele Untertanen beneideten sie darum. Sie beneidete die Schwester darum!
Als sie floh und alles wegwarf, war es für Nerre wie ein Stich ins Herz.
Nette verließ an diesem Tag nicht nur den König, sondern alle.
Nachdem Nerre die Nachricht erhielt, kam sie einen Tag nicht aus ihrem Zimmer. Sie weinte die ganze Zeit und wollte niemanden mehr sehen.
Ihre Finger schlossen sich um die Grashalme.
All die Jahre nagte eine unbändige Wut an ihr. Darauf, dass ihre Schwester alles hinwarf, nur für die eigene burleske Vorstellung von Freiheit. Dafür ging sie zu den Amazonen. Dafür stellte sie sich als deren Königin hin. Dafür verließ sie ihre Familie; ihre kleine Schwester.
Die Hand zog an dem Grasbüschel, bis es riss.
Dies alles würde bald enden. Wenn nicht sogar am heutigen Abend.
Nerre würde ihrer Schwester zeigen, wo ihr Platz war. Nicht unter diesen Wilden, sondern im Schloss Telja, an der Seite ihres ehrenwerten Königs.
Vorher wollte sie nur beobachten.
Die beiden Kinder waren ihr schon im Dorf aufgefallen.
Nerre hätte nie gedacht, wie einfach es sein würde, sich in das Dorf zu schleichen. Die Amazonen sollten doch so wachsam sein. Aber sie besaßen den Fehler, eine schutzlose Frau nie abzuweisen.
Besonders nachdem sie einen ihrer Kameraden angewiesen hatte, ihr für die Scharade ein paar Wunden zuzufügen.
Prellungen an den Armen, eine Platzwunde im Gesicht, das reichte, um das Mitleid der Amazonen zu wecken. Sie hatte sich dort ausgeruht, sodass nichts mehr von den Verletzungen zu sehen war.
Beide Kinder waren noch sehr jung. Das rothaarige Gör war am ältesten von beiden. Im Dorf sprang sie um Nerre herum wie ein Wiesel, das ein schmackhaftes Ei gefunden hatte. Dabei kamen Nerre die Sitzation wie ein Verhör vor. Ihre Fragen aus Misstrauen hätte für die Soldatin gefährlich werden können.
Es war klar, von wem das Kind abstammte. Selbst wenn Alesas Haar längst ergraute, wurde sie auf Bildern immer noch in dem roten, wallenden Haar als stolze Kriegerin dargestellt.
Und doch hatte nicht einmal die einstige Anführerin ihr solches Misstrauen entgegen gebracht, wie dieses Kind.
„Was für törichte Untergebene du um dich gescharrt hast, liebste Schwester“, zischte es aus dem Gras hervor.
Die Augen der Soldatin, deren Kleidung auf eine Amazone schließen ließ, fixierten die Personen vor sich.
Nette, trotz einiger Makel immer noch so wunderschön wie einst. Marli, eine großgewachsene Amazone, die als Wachposten zurückblieb und ihren Speer gekonnt schwang. Diese beiden Kinder in ihrem Spiel.
Besonders das blonde Mädchen interessierte Nerre.
Im Gegensatz zur Freundin blieb sie im Dorf eher für sich. Auch schotteten die Bewohner das Kind vor der Fremden ab. Ein Schatz, den es zu bewachen galt. Dieses Kind war scheu und taute nur im Beisein ihrer Vertrauten auf.
Was würde der König mit diesen beiden Kindern anstellen?
Für die Amazonen stand der Richtblock bereit. Sie sollten öffentlich den Tod finden. Als Mahnung für die verbliebenen Amazonen, die sich gerade nicht im Lager aufhielten und alle anderen Aufrührer. Aber es sollte auch dem Volk zeigen, dass dieser Weg nicht der richtige war.
Bei den Kindern wäre es schwieriger.
Die Leute würden nicht seelenruhig dabei zusehen, wie diese Kinder ihren Kopf verloren.
Ihr König war klug. Ihm würde schon einfallen, sie heimlich zu beseitigen oder auf anderem Weg einen Nutzen finden. Immerhin schienen in diesen Kindern alte und neue Führung vertreten. Solch ein Besitz war in mancher Hand mit Gold nicht aufzuwiegen.
Nerre entfernte sich vorsichtig, um nicht die Aufmerksamkeit der beiden Frauen zu erwecken.
Jede Faser ihres Körpers freute sich auf den nahen Kampf, der jetzt wo Nette endlich zu Hause war, losbrechen würde. Sie musste zurück, ihre Kleidung wechseln und sich auf die Schlacht vorbereiten.
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Marli schaute zum Himmel. Eben noch war er von einem strahlenden Blau erfüllt, jetzt zwängten sich dunkle Wolken davor und ein kühler Wind aus Norden ließ ihren nassen Körper frösteln.
Die Düsternis würden nicht lange verweilen. Spätestens am Abend war ihnen ein schöner Ausklang gewiss. Genau, was sie benötigten. Und doch waren es düstere Wolken eines nahen Gewitters, die Marlis Freude minderten. Nichts was die Natur bot, sondern ein Sturm der Rache.
„Nette, es gibt etwas, über das wir reden müssen“, begann die Amazone, nachdem sie sich ihre Lederrüstung wieder angezogen hatte.
Auch die Kinder schlüpften in ihre Sachen.
Die Anführerin verzurrte ihren Panzer am Sattel des Kampfrosses, ohne sich zu der Freundin umzuwenden aber Marli wusste, dass sie ihre volle Aufmerksamkeit schon längst besaß.
„Vor wenigen Tagen griff eine unserer Wachen eine Frau in den Wäldern des Dorfes auf“, berichtete sie. „Sie war verletzt und erzählte, Räuber hätten sie angegriffen. Er hatte Mitleid mit ihr und nahm sie mit ins Dorf. Sie war keine Bäuerin. Eher eine junge Adelige mit ausgeprägten Muskeln.“
„Hatte sie kurzes blondes Haar?“, erkundigte sich Nette. „Und ungefähr meine Statur?“
Marli konnte das Lächeln nicht verkneifen.
Sie ließ niemals durchblicken, wie ihr wirklicher Name war. Trotzdem vermutete Alesa das Gleiche.
„Wir haben uns nichts anmerken lassen“, sagte sie ohne den Namen direkt auszusprechen. „Sie wollte herumspionieren aber hat keine Information erhalten, die Alesa ihr nicht gestattete.“
„Was habt ihr der Frau berichtet“, erkundigte sich Nette.
Ihre Anführerin war mit ihrem größten Heer ausgezogen, um sich dem Kampf zu stellen, das musste selbst diesem Mädchen bekannt sein. Der Rest waren Kleinigkeiten, gespickt mit einer Falle.
Dem Mädchen wurde erzählt, das Heer hätte herbe Verluste einstecken müssen. Selbst wenn sie einen Angriff wagte, käme neben einer Strafe von ihrem König, eine große Überraschung auf sie zu.
Wäre Nette nicht siegreich gewesen, hätte man das bis ins Dorf gehört. Also würde die Soldatin einem kampfbereiten Heer gegenüberstehen.
Nette verzog ihre hübschen Lippen zu einem Lächeln. Nicht eines der Sorte, die diesen Plan beglückwünschte. Es drohte jeden Moment in Verzweiflung umschlagen.
„Euer Plan ist sehr nah an der Wahrheit“, berichtete Nette. „Wir haben gewonnen aber unser Heer ist geschwächt. Ich konnte nur einen Teil mit mir nehmen. Der Rest kümmert sich um die Verletzen.“
Marlis Miene fiel erschrocken in sich zusammen. Das konnte – nein, es durfte nicht sein!
„Der Vertrag mit den Königen“, warf sie abgehackt ein.
„Ein Abkommen mit mir, dass die Könige nur widerwillig unterzeichnet haben, schützt uns nicht, wenn meine Schwester meint, ihre verloren Ehre wiederherstellen zu müssen. Es war schon immer meine Befürchtung, dass sie ihr eigenes Heer dafür aufstellen würde. Schon damals, als ich sie unter den Soldaten des Königs entdeckte.“
Für ihr geplantes Fest würde es bedeuten, dass es nicht zur Freude gereicht wurde, sondern als Abschied.
„Meine Schwester ist nicht dumm. Sie nutzt jede sich bietende Chance, um mich zu vernichten. Aber dass sie so weit gehen würde.“
Es war das erste Mal seit langem, dass ihre Hand, die um den Zügel des Hengstes lagen, zitterten. Dabei war ihre Anführerin so stark geworden.
Egal was in der Vergangenheit passiert war. Nette liebte Nerre, wie es von einer großen Schwester erwartet wurde. Umso härter traf sie der Verrat, den das Mädchen wählen würde, um ihre Schwester fallen zu sehen.
„Alesa hat während unserer Zusammenkunft etwas angedeutet“, erwähnt Marli nun. „Ich wusste nicht, was sie meint, glaube aber, sie hat es kommen sehen. Sie sagte: Lieber den Feind glauben lassen, er hätte einen großen Sieg errungen, als ihm zu offenbaren, wie sein Verhängnis aussieht.“
Alleine diese Worte brachten Nettes Lächeln zurück.
„Die Alte ist ein weiser und gerissener Fuchs“, bedachte sie ihre einstige Anführerin eines Kompliments. „Es ist besser Teron denken zu lassen, wir Amazonen sind geschlagen, damit er sie schnell hinrichtet, statt dass unsere Schwestern einen qualvollen Tod durch Folter erleiden müssen.“
„Was ist mit den Kindern?“ Marlis Leben war der Kampf. Jeden Tag wurde sie damit konfrontiert, dass es auch ihr letzter sein könnte. Egal ob auf dem Schlachtfeld oder aus anderem Grund. Sie fürchtete sich nicht und würde mit Stolz ihren Schwestern folgen, damit wenigstens die anderen und deren Familien weiterleben konnten.
Nicht nur alleine für sich, auch ihre Tochter wäre in Gefahr, könnte man auf die Idee kommen, außerhalb würde es noch viel mehr Amazonen geben.
Nettes Blick wandte sich zu ihrer eigenen Tochter und Gedana.
Beide waren viel zu weit entfernt, um die Frauen sprechen zu hören. Keine von beiden wollte die Kinder verängstigen, die ihren großen Fang betrachteten. Zehn Fische hatten sie herausgeholt. Gedana konnte drei ergattern, bei den anderen, mussten die Frauen ihnen helfen.
„Sobald wir im Dorf sind, nimmst du die Kinder!“, ordnete Nette streng an. „Ich weiß, dass Melasa gerne für das Dorf kämpfen würde, doch ihr Platz ist an der Seite ihres Kindes, da dulde ich keinen Widerspruch. Sollte meine Vermutung wegen des Angriffs stimmen, kann sie mit unserer verbliebenen Armee alles wieder aufbauen.“
Marli schaute auf die kleine Prinzessin.
Nette sagte nichts zu sich selbst oder dem Kind. Die Worte hingen unausgesprochen und schwer in der Luft.
Sollte es einen Angriff geben, würde sie an vorderster Front stehen. Zusammen mit ihren Schwestern und womöglich sterben. Für den Traum eines Lebens in Freiheit, ohne Tyrannei durch die Könige.
Marlis Einwand, sie solle gehen und sich in Sicherheit bringen, wurde von ihr abgeschmettert. Genau wie Alesas Vorschlag, nur ein paar ihrer Kameraden sollten hier bleiben, der Rest konnte sich zu ihren Verbündeten durchschlagen.
Auch das schlug Nette ab. Sie wollte kämpfen und alles verteidigen, was ihr wichtig war.
Ihr Kind, die Amazonen, das Volk mit seinem Wunsch nach Frieden und deren Hoffnung auf die starke Königin.
Nala weinte, als sie so früh wieder von ihrer Mutter Abschied nehmen musste. Nette schenkte ihr ein Lächeln und die Worte, sie würden sich bald wiedersehen.
Über dem Ganzen lag eine so gedrückte Stimmung, dass jedem bewusst wurde, es würde ein Abschied für immer sein.
Marli musste das Mädchen ganz fest an sich drücken und ihr oft bedeuten ruhig zu sein. Während ihrer Flucht durften sie kein Aufsehen bei dem lauernden Heer wecken.
Nicht das ihr Leben und das der Kinder, das erste war, dass die Soldaten in dieser Nacht nahmen.
Feder
Wie es die Amazonen planten, wurde ein Freudenfeuer entfacht, zu Ehren von Nettes Sieg an ihrem Grenzland.
Schon von weiten ließ sich das Feuer ausmachen, über dem ein fettes Schwein gebraten wurde.
Ein Signal, das über die schützenden Baumwipfel hinweg, bis weit hinein in die Länder strahlend. In der Bedeutung dessen, was sie sein wollten und im Hohn gegen die Könige!
Seht her! Hier sind wir! Ihr könnt uns nichts tun! Wir haben triumphiert und werden siegen!
Ausgehandelt von ihrer Schwester, geschrieben auf einem Papier, viel zu dünn, um Bestand zu haben!
Wie sie es ihnen zeigen würde!
Es würde in dieser Nacht brennen, wie der törichte Traum, an dem die Bewohner des Dorfes festhielten!
Nerre wies ihren Untergebenen an, sich langsam zu nähern. Noch sollte keine der Amazonen ihren Angriff bemerken.
Nette saß vor dem Lagerfeuer mit zwei der Frauen, die Nerre schon bei ihrem Besuch begegneten. Es war das Einzige, was die junge Kriegerin wahrnahm. Und das Einzige, was ihr gehörte, nachdem das Zeichen zum Angriff gefallen war.
Die Soldaten verließen mit einem Kampfschrei ihr Versteck, zum Dorfplatz zu.
Es waren 15 Frauen, die hier unbeschwert saßen. Darunter die größten Krieger der Amazonen. Von dem Rest war nichts zu sehen. Wie ihr ausgerichtet wurde, musste das Heer starke Verluste erlitten haben, sodass dieser Kampf ein Kinderspiel sein würde.
Nerres Lächeln erstarb, noch während sie ihr Schwert zum ersten Schlag erhob.
Ihre Schwester, die große Amazonenkönigin wirkte nicht überrascht. Sie wusste um den Angriff. Neben sich lag das Schwert bereit, mit dem sie den Schlag ihrer jüngeren Schwester gekonnt parierte.
Der Blick der jungen Soldatin wandte sich zurück.
Von oben und aus dem Schatten der Häuser traten weitere Krieger der Amazonen. 40 an der Zahl aber weit zu wenig, gegen das Heer unter Nerres Führung.
Bestehend aus ihren Kameraden, sowie denen, die sich ihnen anschlossen, nachdem sie von dem Plan erfuhren.
Die Klingen der beiden Schwestern kreuzten sich zu einem Kampf, den keiner unterbrechen wollte.
Es war alleine der Kampf beider Schwestern, der unter einem heißen Abendhimmel ausgefochten wurde.
Keiner wollte weichen. Und nicht umsonst waren die Amazonen für ihre Kampfmoral bekannt. Dazu die stolze Königin, die genau wie ihre Schwester aus adeligem Haus stammte.
Hätte man sie vor 15 Jahren gesehen. Zwei Kinder, immer in den feinsten Kleidern und mit herrlichen Juwelen verziert. Ihnen waren Hunger und Leid fremd. Niemand hätte für diese Mädchen ein Schicksal vorhergesagt, das zum blanken Schwert führte.
Und jetzt standen sie hier, an der Kreuzung ihrer beider Wege.
Nette war geschickt im Schwert aber ihre kleine Schwester wusste genau, wie sie ihr Gegenüber aus der Bahn werfen konnte.
Keiner ihrer Gegner hatte je Mitleid mit ihr oder Liebe verspürt. Auch keine der Amazonen würde die junge Soldatin verschonen. Nur Nette, in deren Augen nicht der Wille ums Überleben stand, sondern Trauer wegen der kleinen Schwester.
Daher gab es Unachtsamkeit, die von Nerre ausgenutzt wurde.
Am Ende dieser Nacht waren es die Soldaten um Nerre, die als Sieger aus der Schlacht heraus gingen. Die Amazonen vor ihnen waren ein Haufen geschlagener Leute.
In ihrem eigenen Blut liegend, kaum noch am Leben. Es würde reichen, wenn sie bis zur Hinrichtung überlebten. Nette stand ein anderes Schicksal bevor.
Sie würde ihre Schuld begleichen müssen, indem sie mit König Teron vor den Altar trat. Den idealen Köder wusste Nerre auch schon.
„Kümmert euch um unseren Ehrengast!“, rief sie mit einem Lächeln zwei ihrer Soldaten zu. „Versorgt ihre Wunden und auch die der anderen Amazonen! Sie sollen das Tor unseres Schlosses lebend überschreiten.“
Nette lag vor ihrer Schwester. Sie krümmte sich am Boden. Ihre Hand presste sie auf die Wunde am Bauch.
Die Verletzung war nicht schwer genug, dass sie davon starb.
Die Soldatin erhob ihren rechten Fuß, mit dem sie die Schwester anstieß, sodass diese unter einem Keuchen auf den Rücken rollte. Der Kampfeswille war nicht aus der geschlagenen Königin gewichen.
„Schau nicht so!“, rief Nerre von oben herab. „Du hast selbst gewollt, dass es so endet!“ In einer Grimasse der Wut entblößte die 25-Jährige beide Reihen ihrer weißen Zähne. „Unsere Familie hat sich für dich aufgeopfert. Sie haben dich immer verhätschelt und du solltest mit unserem König vermählt werden. Dafür dankst du uns mit dieser Schande?“
Die Frau vor ihr keuchte erneut auf, als der schwere Stiefel ihrer jüngeren Schwester auf sie niedersauste.
„Unser Vater ist gestorben! Er konnte nicht mehr mit der Schande leben, in die du unsere Familie durch deinen Egoismus gestürzt hast!“
Wieder erhob Nerre ihren Fuß zu einem Schlag gegen die eigene Schwester, doch diese wehrte ihn mit ihren bloßen Händen ab.
„Ich gehe lieber freiwillig in den Tod, als das Schoßhündchen dieses Königs zu werden!“, knurrte sie mit ihrer verbliebenen Kraft.
Nerre wandte sich ab.
Wenn sie sich nicht freiwillig in ihr Schicksal ergab, würde die Schwester sie dazu zwingen.
Ihr Blick wanderte über die Amazonen. Viele von ihnen waren jung und auf den Kampfplatz geeilt. Nur einen Teil musste man aus den Häusern ziehen. Dennoch fehlten ein paar von ihnen.
„Wo ist Alesa?“, erkundigte sie sich scharf bei einem ihrer Mitstreitern. „Sie muss zwei Kinder bei sich haben. Sucht sie!“
„Alesa ist eine alte Frau, die kaum noch kämpfen kann“, wandte ihre Schwester ein. „Lass sie in Frieden. Auch unsere Kinder können kaum einen Aufstand anzetteln.“
Nerres Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Die Schwester zu ihren Füßen verstand. Kurz darauf wurden einige ihrer Späher ausgeschickt, um die Spuren der Gruppe aufzunehmen.
Ein wahrer Sieg über die Amazonen würde es sein, Nette mit dem König zu vermählen und Alesas Kopf rollen zu sehen.
Vielleicht sogar durch Hand ihrer Nachfolgerin. Der Heldin, als die das Volk sie betrachte. Die von ihr erschaffen wurde.
Und sollte die Mutter nicht spuren, würde sie es, wenn ihr eigenes Kind in Gefahr wäre.
Feder