Kapitel 1

Feder
Gehorsam setzte der fuchsfarbene Hengst einen Huf nach dem anderen auf das Tor zu. In jahrelanger Konditionierung lehrte man dem Tier, sich nur im Kampf Männern in solcher Rüstung zu nähern. Was sein Reiter hier befahl, verlangte einiges an Geduld.
Unruhig tänzelte es unter seiner Reiterin, die das Tier immer weiter dem Tor näher trieb. Und auch die Wachen des Schlosses Telja ergriffen ihre Waffen fester, unschlüssig, wie sie auf einen Gast in solch einer Rüstung reagieren sollten.
Ein ausgemusterter Helm schützte ihren Kopf. Vielleicht wurde er aber auch einem toten Soldaten auf dem Schlachtfeld abgenommen. In der Form war er typisch für das Heer von Ura. Eine Stahlplatte schützte den oberen und hinteren Teil des Kopfes sowie die Nase. Vorne war ein Leinentuch vor Mund und Nase angebracht. Von dem Mädchen konnte man nur die Spitzen des strohig blonden Haares erkennen und zwei stahlblaue Augen, die in der Strenge eines ihrer Kommandanten auf den Torwachen lagen.
Ihre Kleidung sprach dagegen vom Widerstand gegen die drei Könige.
Den zierlichen Körper des Mädchens konnte sich kein Soldat ihres Heeres in einer Schlacht vorstellen, wo sie jedem Mann unterlegen wäre. Wenn sie nicht selbst ein so junges Mädchen unter ihren Kameraden hätten, die diese Schwäche in einer kaltblütigen Art dem Feind gegenüber wettmachte.
Den größten Teil ihres Körpers bedeckte ein Stoffkleid, das knapp über dem Knie endete. Viele dieser aufständischen Frauen trugen unterschiedliche Kleidung. Kleider, so kurz wie ihres aber auch länger, Röcke, sogar Hosen.
Darüber lag der lederne Rock ihrer Rüstung. Der dazugehörige Brustpanzer war der zierlichen Gestalt bei Weitem zu groß. Die freien Hautpartien an Armen und Beinen konnte man fast als jungfräulich bezeichnen. Darauf schlossen die beiden Torwächter, dass dieses Mädchen noch nie ein richtiges Schlachtfeld betreten hatte.
Sie hatten viele Kämpfer der Amazonen gesehen, die von Narben entstellt waren.
Anders als dieses Mädchen betraten Amazonen gewöhnlich auf zwei Arten das Schloss.
Als Mitbringsel vom Schlachtfeld in Ketten gelegt oder tot.
Die Reiterin gab ihrem unruhigen Tier die Anweisung stehen zu bleiben. Ihre behandschuhten Hände griffen nach ihrem Helm.
Das blonde Haar des Mädchens umwehte ihr schmales Gesicht, das so manchen Mann ihres Heeres viel Geduld abverlangte.
Auch ihnen war sie keine Unbekannte. Ihr König hatte sie ins Schloss beordern lassen.
Deswegen wurde nicht mehr gezögert.
Ein kurzer Ruf, schon bewegte sich das große Tor mit einem dumpfen Knarren nach innen.
Die Reiterin verschwendete keine Zeit.
Mit einem Sprung hetzte das Tier unter ihr an den zwei Wachen vorbei hinein ins Schloss, gerade als der Spalt groß genug dafür wurde. Der Galopp führt in den vorderen Innenhof und hinein in das Gebiet des Feindes, wie das Tier begriff. Eine Flucht war unmöglich. Hinter ihnen schloss sich das schwere Tor.
Aufgebrachte Leute sprangen aus dem Weg. Adelige, sogar Ritter, um dem gedrungenen Leib des Kampfrosses zu entkommen, dessen unberechenbarer Weg es ziellos über den Hof führte.
Wiehern und das Klappern von Hufen auf dem steinernen Boden wurde an den Wänden der Mauer und den ersten Gebäuden der gewaltigen Festung wieder zu ihnen zurückgeworfen. Nur ein einziger Junge, schmächtig und dem Tier hoffnungslos unterlegen, näherte sich.
Der Reiterin war es recht.
In Bedeutung dieses Gedankens schwang sie sich aus dem Sattel.
Sollte der sich um diesen wilden Gaul kümmern. Noch wenige Ritte damit, vielleicht sogar ein einziger und das Tier würde den Hunden als Futter dienen. Zu mehr waren die Pferde der Amazonen nicht zu gebrauchen.
Mit hoch erhobenem Haupt trat sie dem Schlosseingang entgegen, wo der König auf seinen Gast wartete. Was hinter ihr passierte, wie das Pferd kämpfte, sogar seine Hufe in die Höhe warf, um zu verhindern, dass der Knabe dessen Zügel in die Hände bekam, interessierte das Mädchen nicht mehr.
Feder
Selbst König Teron blieb die Unruhe nicht verborgen.
Einer seiner Berater, ein kleiner Mann blickte zum Fenster hinaus. Mit seiner Art brachte er schon so manchem königlichen Soldaten gegen sich auf. Was der frische Bruch an seiner Nase bewies. Auch gegen diese Frau sprach er kein gutes Wort, deren Hengst die Unruhe verursachte.
„Unmöglich“, meinte er laut. „Diesem Weib sollte man zeigen, wo ihr wirklicher Platz ist. Hoheit, wieso lasst ihr sie in eurer Armee dienen?“
Dieser Grund würde dem Berater viel zu absurd vorkommen. Dabei lag er auf der Hand.
Sie hatte eine persönliche Rechnung mit dem Heer der Amazonen und besonders deren Königin zu begleichen. Wen sollte er anderes damit betrauen, als diese Frau, die unerbittlich ihren eigenen Kampf ausfocht?
Ungeduldig trommelten die Finger des Königs auf der rechten Armlehne seines Throns.
Sie riskierte viel dabei und würde doch die Barmherzigkeit der Amazonen am ehesten kennenlernen. Und das bei solch einem Raubtier, das von niemand Schonung erwartete und seit Jahren ihren Posten im königlichen Heer verteidigte.
Ein ungestümes Ding, wie es ihm noch nie begegnet war.
Mit erhobenem Kopf trat die junge Adlige vor ihn. Ihre Gesten schlossen eher auf einen seiner Generäle, nicht aber auf einen einfachen Soldaten, wie sie es war.
Jeder ihrer Schritte stand unter scharfer Beobachtung des königlichen Beraters. Das Weiß seiner Augen blitzte gefährlich auf, je näher diese Frau dem Thron kam.
Wahrscheinlich hatte er eher darauf gehofft, jemand hätte ihr schon längst die Kehle durchgeschnitten. Das freudige Interesse seines Königs teilte er nicht.
Ein anderer Soldat hätte sein Haupt demütig vor die Füße des Königs geworfen. Sie aber nicht.
Klirrend schlug der Helm auf dem Boden auf, den sie einfach fallen ließ. Ihre Lippen schmückte ein selbstherrliches Lächeln. Als sei er ihr untertan, nicht anders herum.
„Nerre meine Liebe, hast du gute Nachricht mitgebracht?“, wollte der König von seiner Dienerin erfahren.
Vielleicht könnte man diese Frau sogar als ansprechend oder hübsch beschreiben. Die freien Stellen ihrer Haut würden zart gebräunt aussehen, sobald sie sich erst wusch.
Schweißperlen rannen ihren wohlgeformten Körper hinab, den man sinnlich nennen könnte, wenn sie mehr Ähnlichkeit mit ihrer älteren Schwester besäße.
So aber stieß ihn dieses Mädchen eher ab, auch wenn sie alles für den König getan hätte.
„Meine Schwester kommt gerade aus Miro zurück. Wie immer kann sie einen Sieg ins Dorf tragen.“
König Teron wusste nicht, wie ihn das erfreuen sollte. Spielte dieses Weibsbild mit ihm? Wollte sie ihn verhöhnen? Langsam begriff er, wieso viele ihr Hass entgegen brachten.
„Nerre, ich dachte, ihr seid mir treu ergeben aber dennoch vergeudet ihr meine kostbare Zeit mit solcher Belanglosigkeit.“ Seine Faust schlug auf die Armlehne des Thrones und die Augen seines Beraters blitzen entzückt über diese Geste auf.
Aasgeier, so konnte man diesen Mann benennen. Er nahm alles, was man ihm vorwarf, solange er nicht selbst dafür arbeiten musste. Und genauso hoffte er dieses Weib einer angemessenen Strafe zuführen zu können, deren Lächeln nicht einmal die zornigen Worte des Königs etwas anhaben konnte.
„Oder habt Ihr euch womöglich auf ihre Seite geschlagen?“
Der rechte ihrer Handschuhe landete genau wie der Helm auf dem Boden.
„Es hat mir zum Vorteil gereicht, dass meine Schwester im Kampf war. So konnte ich mich unerkannt ins Dorf einschleichen. Mein König, ich dachte, es erfreut euch.“
War sie dumm oder einfach nur gerissen frech? König Teron wagte es nicht zu sagen.
„Was soll ich mich an einem Sieg der Amazonen freuen? Spielt nicht mit mir, sondern rückt endlich mit der Sprache heraus!“
„Meine Schwester ist mit ihrem gesamten Heer ausgezogen“, erklärte sie ihm. Der zweite Handschuh landete zu den Füßen der zierlichen Frau. „Ich weiß noch nicht welche Verluste sie erleiden mussten aber nach ihrer Rückkehr werden sie eine Zeit brauchen, um sich davon zu erholen. Wenn wir genau jetzt angreifen, hat der Widerstand ein Ende.“
„Mir gefällt deine Denkweise, Mädchen. Den schwächsten Punkt des Gegners ausnutzen.“ Das Lob an seine treue Dienerin wandelte sich jedoch gleich in eine Rüge. „Du vergisst den Pakt. Die Armeen der Könige dürfen die Amazonen nicht sofort nach einer Schlacht wieder angreifen. Das hat deine Schwester sehr gut ausgehandelt.“
Selbst dieses unschöne Detail konnte das selbstsichere Lächeln des Mädchens nicht wegwischen.
„Es wäre zu schade, wenn einer der König diesen Pakt bräche“, gestand sie in einem süßlich, listigen Ton, den der König mochte. „Für mich zählt er nicht und seht dieses Gespräch als meinen Austritt aus der Armee. Mir folgen ein paar Krieger. Ich bringe euch eure entflohene Braut zurück, ohne in eurem Namen zu handeln.“
Die Fingernägel des Königs krallten sich in die Armlehne seines Throns. In ihm wallte sich ein Glücksgefühl auf, das er schon lange nicht mehr verspürte und selbst die Wette mit den beiden anderen Königen in den Hintergrund rückte.
„Ihr müsst euch noch gedulden, mein König.“ Erst jetzt neigte das Mädchen das Haupt tief vor ihm. „Die beste Chance gibt sich in ein paar Tagen. Die Daheimgebliebenen bereiten ein Fest vor, um den Sieg zu feiern. Unseren Angriff werden sie dann nicht kommen sehen.“
Geduld, als ob er sich darin nicht schon lange üben würde.
Am liebsten würde er irgendetwas packen und zerquetschen.
So viele Jahre schon wartete er darauf, dass einer seiner Schergen ihm die entflohene Braut brachte. Bisher ohne Erfolg. Dabei wollte er nur dieses eine einzige Mädchen. Sie besitzen, damit sie für immer sein war.
„Nerre, wenn dir das gelingt, dann ist dir großer Lohn gewiss!“, versprach der König. Unter seinem Bart entblößten sich helle Zähne zu einem vorfreudigen Lächeln. „Bring mir die Amazonen, aber töte so wenig wie möglich! Ich werde ebenfalls ein Fest organisieren, zu Ehren eures Sieges und die anderen Könige einladen. Selon soll ruhig seinen Henker mitbringen. Das wird sicher ein wundervolles Spektakel!“
Noch einmal verneigte sich das Mädchen vor ihm.
Es fiel ihm schwer dies zuzugeben. Aber dieses Mädchen hatte viele Eigenschaften, die ihm gefielen. Besonders, dass sie in ihrer Treue sogar das eigene Blut hinterging.
Ihre Finger nahmen den Helm und die Handschuhe wieder auf. Dann verließ sie den Thronsaal genauso, wie sie ihn auch schon betrat. Mit festem Schritt und erhobenem Kopf.
Ein beeindruckendes Mädchen!
Der König erhob sich aus seinem Thron. Seine Schritte führten ihn zum Fenster hin, an dem der Berater noch immer stand.
„Eure Majestät“, rief der kleine Mann. „Meint ihr wirklich, dass dies eine gute Idee ist. Sie mit solch einer Aufgabe zu betrauen. Wenn sie scheitert, fällt das dann nicht auf euch zurück?“
Dumme Bedenken, eines dummen Mannes! Der König zweifelte keinen Moment an seiner treuen Soldatin.
„Denkt doch auch an den Pakt und die Abmachung mit euren Nachbarn. Selon und Ylias werden sich kaum an ihr Versprechen halten, wenn die Amazonen auf diese Art fallen.“
Mit einer einzigen mächtigen Handbewegung brachte der König seinen Berater zum Schweigen.
Es gab Zeiten, an denen er an die Diplomatie denken musste und welche, in denen nur das blanke Schwert etwas zählte.
Die Amazonen waren eine solche Sache, der man nur mit einer scharfen Klinge beikam. Bevor das Volk daran dachte, sich gegen den König aufzulehnen würde ihnen helfen. Sie sollten viel eher daran denken, was sie tun konnten, um ihrem König zu gefallen.
Über den Hof lief das Mädchen, jetzt wieder in der vollen Kleidung einer Amazone.
Alles war egal, solange dieses Mädchen ihre Aufgabe erfüllte.
Selbst er konnte sich sein Lächeln nicht unterdrücken.
„Dieses Mädchen ist die Einzige, an der die Königin der Amazonen fallen könnte!“
Feder